Beas Geheimnis – Ende der Geschichte…

Der Typ schob Bea vor sich her den gegenüber liegenden Kellergang hinunter. Hier war es stockdunkel. Seine Hand auf ihrem Mund lockerte sich nicht, im Gegenteil, Bea hatte das Gefühl, er würde noch fester zudrücken. Mit der anderen Hand hatte er ihr den linken Arm so weit auf den Rücken gedreht, dass sie glaubte, sie würde in Kürze vor lauter Schmerzen ohnmächtig.

„Du blöde Schlampe! Ich hatte dich gewarnt! Du solltest, verdammt nochmal, die Fresse halten! Saudämlich und lebensmüde, wie du bist, mußtest du diese Scheiße bloggen! Wie hirnverbrannt bist du eigentlich? Mit so etwas wie dir sollte man kurzen Prozess machen!“, zischte er ihr ins Ohr.

‚Oh, Scheiße!‘ dachte Bea. Das war dieser Typ aus dem Luxushotel, in dem sie als Managerassistentin arbeitete. Er war wohl so etwas, wie der Bodyguard oder persönliche Assistent, oder einfach der Mann für´s Grobe von einem der beiden Typen, die Bea heute beobachtet hatte. Heute nachmittag hatte er sie tatsächlich angesprochen und sie einzuschüchtern versucht, als er sicher sein konnte, dass sie gerade von niemandem gesehen und gehört werden konnten. Er mußte irgendwie in Erfahrung gebracht haben, dass Bea von den abartigen Vergnügungen des weltbekannten Superstars und des hochrangigen Politikers mit den Nutten oben in der Penthouse Suite wußte. Sie war im Service- und Überwachungsraum direkt unter der Suite beschäftigt gewesen, als sie ungewollt Zeugin der Geschehnisse da oben wurde, da die Monitore, die mit den Überwachungskameras der Suite verbunden waren, komischerweise in Betrieb waren. Das war mehr als seltsam, denn normalerweise waren sie nur eingeschaltet, wenn der oder die Gäste der Suite dies ausdrücklich wünschten. Das konnte aber doch heute vormittag unmöglich der Fall gewesen sein, oder? Sie hatte mit offenem Mund wie gebannt auf die Monitore starren müssen. Es lief kein Ton, aber was sie sah, sprach auch so Bände. Weil Bea geglaubt hatte, niemand sonst hätte etwas mitbekommen, hatte sie, als sie heim gekommen war, sofort alles gebloggt, was sie gesehen hatte. Sie hatte keine Namen genannt. Dennoch musste eigentlich jedem, der diesen Post las, klar sein, von welchen bekannten Personen sie schrieb. Jetzt wußte sie also mit Sicherheit, dass ihr Post noch online gegangen war, bevor der Strom vor etwa einer Stunde plötzlich abgebrochen war. Umklammert von diesem Fiesling, stand sie jetzt hier und konnte sich nicht rühren, geschweige denn, einen Laut von sich geben. ‚Warum habe ich seine Drohung nicht ernst genommen?‘, dachte sie nun verzweifelt und unter Schmerzen.

„Wenn du nicht die Fresse hältst, dann schlitze ich dir den Hals auf! Das ist kein Schwerz! Ich nehme jetzt ganz langsam meine Hand weg. Wage es nicht!“ Bea zitterte noch immer. Dem Kerl war sicher bewußt, dass sie wie gelähmt und viel zu ängstlich war, um loszuschreien. Er zog auch nur die Hand von ihrem Mund zurück. Ihr Arm hinter dem Rücken schmerzte noch immer fürchterlich, so weit, wie dieses Schwein ihn verdreht hatte und hielt. Sie wimmerte leise. „Halt das Maul!“, flüsterte er ihr drohend und mit harter Stimme ins Ohr. Fast im selben Moment hörte Bea Thorsten ihren Namen rufen.

„Bea! … Bea? Wo bist du? Die Schrödinger war sich ganz sicher, dass du hier runter gerannt bist!“ Thorstens Stimme kam ganz aus der Nähe. Der Typ hinter Bea schien überrascht und wohl auch kurzzeitig etwas erschreckt, denn er lies Beas Arm für einen Augenblick etwas locker – wohl um sich orientieren zu können, wohin er sie in der Kürze der Zeit noch zerren konnte. Diesen kurzen Augenblick nutzte Bea und riss sich unter höllischen Schmerzen von ihm los. Während dessen schrie sie: „Thorsten! Hilfe!“ Das Adrenalin in ihrem Körper hatte ihr den Mut dazu verliehen. Sie rannte, so schnell sie konnte, den Gang vor, direkt in Thorstens Arme.

„Schnell! Schließ die Tür zu! Schnell!“ brachte Bea mit kreischender Stimme hervor und machte sich sofort von Thorsten los. Sie knallte die Tür zum Kellergang zu, aus dem sie Thorsten eben entgegen gerannt war, stemmte sich dagegen, und versuchte mit zittrigen Fingern, den Schlüssel im Schloß zu drehen. Thorsten kam ihr zu Hilfe, stemmte sich ebenfalls gegen die Tür, und drehte den Schlüssel gleich zweimal herum. Dann drehte er sich zu Bea um und sagte etwas irritiert: „Schatz, jetzt erklär mir, was mit dir los ist. Warum schreist du denn so? Du bist ja ganz in Panik! Es hat sich doch alles aufgeklärt! Weißt du es denn noch gar nicht?“

Bea verstand nur Bahnhof. Sie rieb sich den schmerzenden Arm. ‚Aufgeklärt? Was hatte sich hier aufgeklärt?‘ Sie war sich ganz sicher, dass der Kerl da hinten im Kellergang eine ganz reale Gefahr für sie darstellte.
„Ich weiß nicht, was du meinst. Das mußt du mir erklären. Aber vorher müssen wir unbedingt die Polizei rufen! Ganz schnell, Thorsten. Das ist mein voller Ernst! Wir haben hier gerade einen Kerl eingeschlossen, der mir an die Gurgel will! Da bin ich absolut sicher! Hast du dein Handy dabei?“

Thorsten sah sie mit großen Augen an, ohne ein Wort zu sagen, und holte sein Handy aus seiner Hosentasche hervor. Bea riss es ihm aus der Hand und wählte mit noch immer zitternden Fingern den Notruf. Als sie eine männliche Stimme am anderen Ende „Notruf, wie können wir Ihnen helfen?“ sagen hörte, begann sie sofort, in schnellen, präzisen Worten zu berichten, was sich soeben hier im Keller zugetragen hatte, und dass der Mann, der sie bedroht hatte, von ihr hier eingeschlossen, noch im Keller sein mußte, denn die Türen und Gitter zu den einzelnen Kellerräumen waren, wie Bea ziemlich sicher wußte, alle verschlossen. Dort gab es so schnell kein Entrinnen, meinte sie. Der Mann am anderen Ende fragte Bea nach Name, Adresse, Telefon und so weiter, und erklärte ihr dann in sehr gesetztem, ruhigem Ton, dass er nun alles erfaßt habe und sofort einen Streifenwagen los schicken werde. Bea habe aber mit einer Anzeige wegen Mißbrauchs des Notdienstes zu rechnen, falls das, was sie soeben berichtet habe, nicht der Wahrheit entspreche und nur ein weiterer böser Scherz sei.

„Es stimmt! Das schwöre ich ihnen! Bitte beeilen sie sich! Vielleicht versucht der Kerl ja, die Tür von innen aufzubrechen, vor der ich mit meinem Mann stehe!“

„Wird gemacht! Halten sie sich bereit und gehen sie keine unnötigen Risiken ein! Der Streifenwagen wird in wenigen Minuten bei ihnen sein.“, kam es aus dem Handy, bevor am anderen Ende die Verbindung unterbrochen wurde.

Bea gab Thorsten mit fragendem Blick sein Handy zurück. „Hast du das gehört? Dieser Mann hat tatsächlich in Betracht gezogen, dass ich nur einen blöden Scherz mache! Unglaublich! Wer würde denn so etwas tun?“

Dann sah sie mit skeptischem und etwas ängstlichem Blick zur Kellertür keinen Meter vor ihnen. Dahinter war kein Geräusch zu vernehmen. Fast ein wenig unheimlich. Aber das war eine Brandschutztür. So leicht würde das Schwein dahinter die wohl nicht auf bekommen. Derweil näherten sich Geräusche von der anderen Kellerseite. Jemand stöhnte und Bea konnte gedämpfte Wortfetzen von mehreren Stimmen und sogar Lachen vernehmen. Sie sah zu Thorsten auf und fragte: „Was ist hier los? Was meintest du denn überhaupt mit ‚es hat sich alles aufgeklärt‘?“

Auch Thorsten sah wieder zur Kellertür vor ihnen. Dann sah er Bea an, und sagte: „Ok, da du noch nichts weißt, erkläre ich es dir schnell. Aber dann mußt du mich aufklären, wie du in diese Situation geraten bist!“

„Ja, ok“, sagte Bea ungeduldig. „Aber jetzt mach schon! Die Polizei wird hoffentlich jeden Augenblick hier sein!“

„Hast du eigentlich heute irgendwann mal bewußt auf den Kalender geschaut?“, fragte Thorsten. „Heute ist der 31. Oktober! Klingelt es bei dir? Halloween! Die Typen aus der WG im ersten haben sich richtig was ausgedacht. Und die haben mittlerweile eine Mordsgaudi! Die haben ja, wie es scheint, so ziemlich alle Mitbewohner in unserem Haus mal so richtig aufgemischt. Einschließlich der Schrödingers. Hat doch für die super funktioniert! Wir sind alle voll drauf rein gefallen. Die haben das ja aber auch mit einem Aufwand betrieben – alle Achtung! Nur die zwei Neuen sind wohl im Moment etwas lädiert. Warum sind die aber auch auf das Kellerfenster draufgestiegen? Das war ja schon sehr morsch.“

Bea stand mit offenem Mund da und war fassungslos. „Wie jetzt? Du meinst Felix, Jochen, Iwan und die zwei Neuen da? Waren das die Bullen? Die waren also nur gespielt?“ Plötzlich rumpelte es hinter der Stahltür. Bea und Thorsten schraken gleichzeitig etwas zurück.

„Ja, genau“, sagte Thorsten nun etwas hektisch, während er auf die Tür starrte. „Du weißt ja, dass sich speziell Jochen und Felix immer wieder gern über deine Vorliebe für blutige Horrorfilme lustig machen. Das hat ihnen zusätzlichen Antrieb gegeben, wie mir Felix auf der Treppe erzählte, als ich auf dem Weg hier runter war.“ Wieder rumpelte es hinter der Tür. Bea wurde sehr unruhig und fragte Thorsten: „Wie lange warten wir jetzt hier eigentlich schon auf die richtige Polizei? Die müssten doch längst hier sein!“

Wie auf Kommando kamen plötzlich mehrere Personen die Kellertreppe herunter geeilt. Vorweg zwei Polizisten. Nicht die zwei von vorhin, stellte Bea für sich fest und atmete etwas erleichtert auf. Der eine stellte sich selbst als Hauptwachtmeister Dombrowski und seinen Kollegen als Wachtmeister Kerber vor. „Sind sie Beatrice Piepenbrink?“, fragte er Bea. „Ja, das bin ich.“, antwortete Bea. „Wir wurden informiert, dass sich hier eine männliche Person befindet, die sie angegriffen und bedroht hat.“ „Ja, hier hinter dieser Tür! Wir konnten den Kerl einschließen. Jetzt hat es aber schon ein paar mal hinter der Tür Geräusche gegeben. Ich glaube, er versucht, raus zu kommen!“

„Gehen sie bitte jetzt alle unverzüglich zurück in ihre Wohnungen! Wir kümmern uns darum! Sie, Frau Piepenbrink, halten sich dann bitte für uns zur Aufnahme des Protokolls bereit!“

Thorsten nahm Beas Hand und schob sie vor sich her die Kellertreppe hinauf. Die anderen, unter ihnen Jochen und Iwan, ebenfalls in Polizeiuniformen, folgten ihnen. Kunstbart und Brille waren bereits aus ihren Gesichtern verschwunden. Beide hinkten aber etwas.

„Kommt mit rauf zu uns!“, sagte Thorsten zu ihnen. Wir setzen uns und holen alle erst einmal Luft, und ihr erzählt Bea und mir mal im Detail, wie ihr auf diese verrückte Idee gekommen seid! Habt ihr ein Glück, dass wir sowieso in zwei Wochen vorrichten wollen!“

„Das wußten wir ja.“, antwortete Felix, der nun auch zu ihnen gestoßen war. Aber das war super für uns. Wir brauchten mit dem Kunstblut nicht sparsam umzugehen. Es läßt sich ja auch leicht wieder wegmachen. Dass wir Schrödingers Katze allerdings im Keller aufschrecken würden, und dass sie die Büchse mit dem Kunstblut umhauen würde, damit hatten wir nicht gerechnet. Die Schrödinger ist ja völlig ausgeflippt! Um die müssen wir uns dann noch kümmern. Jetzt ist sie erst mal ruhig gestellt.“

„Schauspielstudenten!“ kam es von Thorsten. „Nichts als Blödsinn im Kopf!“ Alle lachten. Selbst Bea gelang ein Schmunzeln. Sie stand noch in der Wohnzimmertür, während sich die Jungs schon häuslich nieder gelassen hatten.

„Ich muß mich unbedingt schnell waschen und etwas anderes anziehen, bevor der Hauptwachtmeister hoch kommt und das Protokoll mit mir aufnehmen will. Ihr habt ja wirklich für Chaos gesorgt. Ihr könnt euch glücklich schätzen, dass wir Spass verstehen und nicht nachtragend sind. Trotzdem muss ich das alles erst einmal verdauen.“, sagte Bea. Plötzlich schwante ihr etwas. Sie runzelte die Stirn, sah zu Felix und fragte ihn: „Du, Felix, du bist ja kein Schauspielstudent. Welche Rolle hast du eigentlich gespielt?“ Felix blickte sie verschmitzt an und sagte sehr langsam und bedeutungsvoll zu ihr: „Ich bin Programmierer. Jetzt rate mal!“

„Du irrer Idiot!“ schrie sie ihn lachend an. „Ich wäre fast gestorben vor Schiß, als sich diese Pop-up-Fenster vorhin an Thorstens Computer geöffnet haben! Du bist ja echt wahnsinnig! Dafür bist du mir aber was schuldig! Du mußt mir unbedingt erklären, wie du das gemacht hast. Und vor allem, wie wir sowas in Zukunft verhindern können!“ Sie wollte gerade in Richtung Bad verschwinden, als sie sich noch einmal umdrehte und hinzufügte: „Und überhaupt: Kannst du mir helfen, meinen Blog sicher zu machen? Ich will nicht, dass jeder raus bekommen kann, wer ich bin! Ich glaube nämlich, ich habe Mist gebaut!“

Zu Thorsten gewandt sagte sie: „Thorsten, mein Schatz, dir erzähle ich dann in Ruhe, was ich vorhin gebloggt habe. Deshalb hat mich dieser Typ im Keller nämlich ausfindig gemacht und angegriffen.“ Mit reuevollem Blick fügte sie hinzu: „Und dann darfst du ruhig mit mir schimpfen. Du hast ja Recht, wenn du zu mir sagst, dass ich manche Dinge zu offen in die Welt hinaus posaune.“ Sie ging zu ihm, umarmte ihn und gab ihm unter dem Johlen der anderen einen langen Kuss.

+++ Ende +++

14 Gedanken zu “Beas Geheimnis – Ende der Geschichte…

  1. Uuuuh aaaaah…. yeah! Einfach genial! Absolut geiler Abschluss. Du hast es einfach drauf! Da geht einem richtig die Luft raus beim Lesen. Und nun ist endlich alles gut, ein super Scherz und der Böse ist gefasst. 😃

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