Das Schneewunder
Episode 2 von Berta
Tytola flog lautlos hinter Odio Nix her. Welch ein Glück, dass die Schleiereule so gut sehen konnte. Es wäre ihr sonst nicht möglich gewesen, dem bis auf die Fußspuren unsichtbaren Gnom zu folgen.
Nach ein paar hundert Metern gab es plötzlich keine weiteren Spuren. Odio Nix schien auf der Stelle zu stehen. Nun war ein Klopfen zu vernehmen, das von der alten Eiche unmittelbar vor den letzten Spuren kam. Nur wenige Sekunden später bewegte sich in Bodennähe ein Stück der Rinde. Tytola hörte die ihr bekannte Stimme von Querbur, dem Trollmagier, fragen: „Was führt dich so spät noch zu mir?“
Der Gnom antwortete: „Unvorhergesehene Umstände! Das weiße Mistzeug fällt vom Himmel, als gäbe es kein Morgen! Das ist das Letzte, was ich jetzt brauche! Du musst mir beim Verwandeln behilflich sein!“
„Komm rein.“, sagte Querbur. Kurz darauf legte sich das Rindenstück wieder zurück auf den Stamm und es war nicht mehr zu erahnen, dass sich dahinter ein winziger, geheimer Eingang in den Baum befand.
Tytola überlegte, wie sie herausfinden konnte, was im Inneren des dicken Eichenstammes vor sich ging. Kurz darauf wackelte sie mit dem linken Ohr, gab ein rülpsendes Geräusch von sich und implodierte. An ihrer Stelle flogen ein paar Federn auf und eine kugelförmige Nebelwolke schwebte plötzlich zwischen den Bäumen. Wenig später löste sich die Wolke zischend wieder auf und am Boden saß ein Hirschkäfer mit leuchtend grünen Augen.
‚Ich werde einfach hinter das Rindenstück in den Baum krabbeln und so tun, als ob ich nach Pilzbefall am Stamminneren suche.‘, dachte der Käfer, der bei den Waldbewohnern unter dem Namen Gugi Schröter bekannt war.
Anfangs nahmen weder Querbur, noch Odio Nix von dem Käfer Notiz. Der Gnom hatte seine Umhängetasche neben sich gelegt und seine Tarnkappe abgenommen und saß mit seinem in alle Richtungen abstehenden, strubbeligen roten Haar im Schneidersitz auf dem Boden der schwach beleuchteten Baumhöhle.
„… fehlt mir die Zeit und auch die Geduld, zu warten, bis das Mistzeug wieder weg getaut ist.“, ereiferte er sich. „Ich brauche zwei Ampullen Rabitum und den Auffänger.“
Plötzlich hielt Odio Nix inne, drehte sich um und entdecke in der hintersten Ecke den augenscheinlich schwer beschäftigten Käfer. Gugi Schröter testete mit Hilfe seiner Hörner sehr geschäftig das Holz neben sich.
„Was macht der denn hier und wie lange ist der überhaupt schon da?“, fragte der empörte Gnom Querbur. Dieser war während des Zuhörens damit beschäftigt gewesen, in einem dicken Wälzer etwas zu suchen. Jetzt sah er auf, erblickte den Käfer ebenfalls, und fragte ihn weniger unfreundlich: „Hallo Gugi, du warst doch erst vor ein paar Tagen hier! Ich habe dir doch schon gesagt, dass du nicht einfach ohne Anklopfen hier reinschneien sollst!“
„Sprich dieses teuflische Wort nicht aus!“, schrie ihn Odio Nix daraufhin an. „Das bringt Unglück!“
„Ist ja schon gut.“, antwortete Querbur. „Ich nehme es zurück.“. Daraufhin ließ er ein Sauggeräusch hören, lachte herzhaft und sagte zu seinen Gästen: „Ihr wisst, dass bei mir jeder jederzeit willkommen ist, aber hier gelten meine Regeln. Odio, hier wird nicht geschrien! Und Gugi, hier wird angeklopft und um Einlass gebeten!“
Odio Nix senkte etwas beschämt den Kopf und murmelte ein leises „tschuldigung“ vor sich hin. Gugi Schröter hatte binnen zwei Minuten in der Baumhöhle gehört, was ihm wichtig erschien. Daher bat er den Troll sehr höflich um Verzeihung und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich wollte nur noch eine kurze Bestandsuntersuchung machen und habe während meiner Kopfrechnerei wohl einfach vergessen, anzuklopfen. Bitte verzeih mir, Querbur. Bis demnächst. Odio, mach es auch gut!“ Damit verschwand der Käfer wieder im Gehölz.
Audioversion, gesprochen von Sigurd
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.