Meine allererste Erinnerung an Fußball und Fernsehen und WM ist das Endspiel 1974. Ich erinnere mich für meine Verhältnisse sehr genau an dieses Ereignis. Ich war fünf und es war wahrscheinlich das erste Mal, dass ich fernsah und dass ich Fußball sah.
Die Familie versammelte sich also an diesem Sonntag Nachmittag vor dem Röhrengerät. Es war sehr neu für uns, weil Opa sich zur WM einen Farbfernseher gegönnt hatte. Da fiel die alte Schwarzweißkiste für uns ab. Wir waren damals Papi, Mami, der Fünfjährige und das Baby.
Nach wenigen Sekunden war der Ball im Tor, und soviel wusste ich schon, das muss gut sein. Also freute ich mich. Es war dann das einzige Mal, dass mein Vater mich wegen eines Fußballspiels rügte. „Das war die falsche Mannschaft, da freut man sich nicht!“ Meine Mutter versuchte zu schlichten, und nahm mich in Schutz: „Woher soll der Kleine das denn wissen?“
Im Laufe der nächsten Jahrzehnte habe ich weit über ein Jahr in Holland verbracht, zwar nie mehr als vier Wochen am Stück, aber immer und immer gerne, und gäbe es erneut ein Endspiel zwischen Deutschland und Holland, ich freute mich erneut über ein Tor von Oranje.
1982 war ich dann im Bilde, und wie es sich für das Alter gehört, ein absoluter Deutschlandfan. Unser Mathe., Bio- und Klassenlehrer war aus einer anderen Zeit und hatte für Fußball keinerlei Verständnis. Er war aber auch der Wanderführer des Sauerländischen Gebrgsvereins Sektion Ratingen und animierte uns häufig, an den Wanderungen teil zu nehmen. Einige haben die Einladungen angenommen, in irriger Hoffnung, dass sich dies auf die Noten auswirken könnte. Klein Chris wanderte gerne. Ich habe das wirklich gerne gemacht. Ich spielte ja weder Fußball noch Handball im Verein und hatte sonntags sonst wenig Vergnügen außerhalb der Familie und genauso wie heute mochte ich es, unbekannte Wege zu erforschen, neue Landschaften zu entdecken und Tiere und Pflanzen zu beobachten. Ich war ein komisches Kind, ich geb´s zu.
Am 11. Julie 1982 sollte dann wieder eine Wanderung sein und erstaunt musste Herr Dr. (phil,) Feuerstein feststellen, dass niemand sich meldete. WM Finale geht vor.
Am Montag nach der „Schande von Gijon“ schrieben wir eine Mathearbeit. Herr Feuerstein pflegte in den zwei Stunden nicht nur eine Zigarre zu rauchen, sondern auch die Zeitung zu lesen. Und da er ja wusste, wie wichtig uns Fußball war, las er an diesem Tag auch den Sportteil, erst gelangweilt, dann immer interessierter, fast hektisch (was für seine Verhältnisse immer noch so angespannt war wie eine Weinbergschnecke auf Valium) und platze es aus ihm heraus: „Für diese Betrüger verzichtet Ihr auf die Wanderung durch die Eifel?!?“
Im Jahr 1985 hatte ich meine erste Freundin. 1985 gab es keine WM. Aber zehn Jahre später. Ich freute mich auf den Abend, Italien gegen Irland stand an, das erste Spiel in der Gruppenphase, und direkt so ein Knüller, die Iren nach dem Triumph (für irische Verhältnisse) 1990 wieder dabei. Und das Spiel sollte ja auch alles halten, was es versprach, die Iren gewannen 1:0. Endloser Jubel in green.
Ich habe es nicht gesehen, denn an diesem Abend eröffnete mir meine Freundin nach fast zehn Jahren, dass sie einen anderen liebte und ich nicht mehr der Richtige sei. Was im Rückblick auch stimmte, und ich kann sie gut verstehen und mit mir vor 24 Jahren hätte niemand etwas aufbauen sollen. Aber trotzdem, mir hat das damals den Abend versaut.
Ich habe danach jedes Spiel der WM 94 gesehen. Jeweils mindestens 90 Minuten, alle Verlängerungen und all das Drama im Elfmeterschießen. Jedes Spiel war wie eine Droge, die den Schmerz im Bauch, den Stich im Herzen für ein paar Minuten betäubte. Ich mochte Fußball schon vorher, ich bin mit Fortuna über die Dörfer gezogen, ich schaute mir gerne auch Spiele an, wo ich keinen Bezug hatte, aber in diesem Sommer 1994 habe ich begonnen, Fußball zu lieben.
Die WM 2018 läuft so an mir vorbei. Ich rege mich nicht auf, wenn Deutschland verliert, es sind ja keine Idole mehr für mich, keine Vorbilder, keine Helden, es sind junge Fußballprofis, fast 30 Jahre jünger als ich. Deutschland ist nicht mehr wichtig. Aber ich schaue immer noch gerne Fußball. Auch Iran gegen Marokko. Gerade Iran gegen Marokko. Sowas sieht man ja sonst nicht. Ich drücke Island die Daumen, aber genau das Spiel habe ich wegen der Arbeit komplett verpasst. Was mir früher Bauchschmerzen bereitet hätte. Aber ich komme drüber hinweg.
So long Chris
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